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Titel
Karolingische Rekognitionszeichen. Die Kanzlerzeile und ihre graphische Ausgestaltung auf den Herrscherurkunden des achten und neunten Jahrhunderts


Autor(en)
Worm, Peter
Reihe
elementa diplomatica 10
Erschienen
Anzahl Seiten
176 S. Bd. 1; 308 S. Bd. 2
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Irmgard Fees, Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Die Arbeit von Peter Worm, eine von Peter Johanek und Hagen Keller betreute Münsteraner Dissertation aus dem Jahre 2003, ist aus zwei bedeutenden wissenschaftlichen Forschungsprojekten zur mittelalterlichen Geschichte der letzten Jahre hervorgegangen, nämlich zum einen aus den Untersuchungen zu grafischen Symbolen in Urkunden, die Peter Rück, dessen Schüler Worm ist, mit breiter internationaler Wirkung von Marburg aus betrieben hat, und zum andern dem Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ und dem Graduiertenkolleg „Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter“. Von beiden Projekten hat Worms Arbeit profitiert, und beiden, das sei vorweggeschickt, macht sie Ehre.

Die Beschäftigung mit Zeichen und Symbolen in mittelalterlichen Urkunden hat in den letzten Jahren vor allem durch die Arbeiten von Peter Rück entscheidende Impulse erfahren; erinnert sei nur an die Arbeiten zur „Urkunde als Kunstwerk“ und zu den „Urkunden als Plakate des Mittelalters“ 1, deren prägnante Titel die neue Sehweise bereits andeuten. Wesentliche Ergebnisse konnten im Band „Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden“ 2 vorgelegt werden, umfangreiche Untersuchungen sind daneben, teils unabhängig von Rück, teils von ihm angeregt, zu den Zeichen in Papst- und Herrscherurkunden entstanden, wie die Arbeiten von Joachim Dahlhaus zur päpstlichen Rota 3 oder von Erika Eisenlohr zum Chrismon 4. In diese Untersuchungen reiht sich die Arbeit von Peter Worm ein, der mit dem Rekognitionszeichen „das größte und komplizierteste Zeichen der Herrscherurkunde“ (S. 15) in der Karolingerzeit behandelt, ein Zeichen, das sich durch die grafische Ausgestaltung des letzten, meist zu „ss“ abgekürzten Wortes der Unterschriftsformel recognovi(t) et subscripsi(t) der karolingischen Kanzler und Kanzleinotare entwickelte. Eine umfassende moderne Behandlung dieses Zeichens stand bislang aus, wenn auch in jüngerer Zeit sich ein neues Interesse für das Thema regte.5 Peter Worm legt eine solche monografische Untersuchung nun vor und verfolgt damit ein doppeltes Ziel: Er will zum einen in klassisch-hilfswissenschaftlicher Arbeitsweise Kriterien für die Beurteilung von Echtheit und Fälschung schaffen, zum andern Aussagen über Veränderungen im Bildprogramm der Urkunde treffen, „das viel stärker als bisher angenommen politische Richtungswechsel widerspiegelt oder [...] für die Herstellung von Legitimität genutzt wird“ (S. 16f.). Mit seiner Arbeit ist ihm beides vorzüglich gelungen.

Basis der Untersuchung sind die rund 1000 im Original erhaltenen Kaiser- und Königsurkunden der Karolingerzeit, die allerdings mangels verfügbarer Abbildungen nicht sämtlich ausgewertet werden konnten; die Auswertungsquote schwankt zwischen rund 50 Prozent für Italien bis zu 95 Prozent im Westfränkischen Reich. Behandelt werden das karolingische Frankenreich von der Mitte des 8. Jahrhunderts an und die daraus hervorgehenden Teilreiche, so das Westfränkische Reich bis 929, das Ostfrankenreich bis 936, d.h. unter Einbeziehung Heinrichs I., und Italien bis 924. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Behandlung der hochmittelalterlichen Weiterentwicklung des Zeichens unter den Ottonen und Saliern, die Stoff für eine eigene Untersuchung böte (S. 17). Eine solche Untersuchung, für die Rück und Schulze bereits mancherlei Denkanstöße geliefert haben, wäre sicherlich notwendig und reizvoll, hätte aber zweifellos den Rahmen der ohnehin schon umfangreichen Arbeit gesprengt.

Der Kern von Worms Untersuchung besteht aus drei großen Kapiteln, deren erstes „Die Rekognitionszeichen bis zur Reichsteilung von 840“ (besser sollte man formulieren: bis zum Ende der Regierungszeit Ludwigs des Frommen) behandelt, das folgende die Zeichen in den Urkunden der Söhne und Enkel Ludwigs des Frommen, schließlich das dritte die Rekognitionszeichen des späten 9. und 10. Jahrhunderts, eine Zeit, in der sich das Zeichen, wie Worm bereits im Titel des Kapitels ankündigt, „in Auflösung“ befindet. Von nahezu jedem Kanzler oder Notar werden in diesen Kapiteln mindestens eines, zumeist jedoch mehrere Zeichen minutiös beschrieben. Um eine genaue Analyse zu ermöglichen, war eine Erweiterung der bisherigen Terminologie zur Beschreibung der Rekognitionszeichen erforderlich (S. 20), die zunächst gewöhnungsbedürftig ist, deren Sinn sich jedoch bei der Lektüre der Beschreibungen und der Betrachtung der beigefügten Abbildungen erschließt.

Es gelingt Worm im ersten dieser zentralen Kapitel, aufzuzeigen, wie sich unter Karl dem Großen eine Art „Standard-Rekognitionszeichen“ herausbildet. Für die Urkunden Ludwigs des Frommen lässt sich „eine Ausformung eines neuen verbindlichen Zeichentyps zu Beginn der Herrschaft“ (S. 46) konstatieren; es entsteht ein „imperialer Urkundentyp“ mit überindividuell feststellbaren Gestaltungsgrundsätzen. Die Zeit Ludwigs stellt eine Zeit der Konzentration und der Standardisierung dar, deren Grundsätze sich erst gegen Ende der Regierungszeit zu lockern beginnen. Die Ergebnisse bezüglich der Rekognitionszeichen fügen sich damit in das Gesamtbild der Urkunden Ludwigs des Frommen ein, das bereits Mark Mersiowsky skizziert hat.6

Zu den wesentlichen und überzeugenden Ergebnissen des nächsten der drei zentralen Kapitel, das sich mit der Generation der Söhne und Enkel Ludwigs des Frommen befasst, gehört, dass sich nach dem Tode Ludwigs des Frommen die westfränkische und die ostfränkische Kanzlei wie auch die Italiens von der gemeinsamen Wurzel rasch entfernen und eigene Wege gehen. Während im Westen (eingeschlossen Aquitanien) eine Tendenz zur Verschriftlichung des Unterschriftszeichens besteht und die symbolischen Zeichen der Urkunde in Auflösung begriffen sind, werden sie im Ostfrankenreich vergrößert und „ornamental aufgeladen“. In beiden Teilreichen verschwinden die Chrismen vor der Kanzlerzeile, in beiden wird das Prinzip der Eigenhändigkeit der Unterfertigungen allmählich aufgegeben. Der Eintrag von tironischen Noten in das Zeichen geht zurück und fällt schließlich ganz weg; im Westen wird er durch Einträge in Minuskelschrift ersetzt, im Osten durch ein eigenes Zeichensystem, das Worm die „hebarhardschen Noten“ nennt. In Italien lässt sich ein immer stärker werdender Einfluss der Privaturkunde auf die Herrscherurkunden feststellen; die Herkunft des Zeichens aus dem Wort subscripsi wird unkenntlich; tironische Noten werden nicht mehr gebraucht, „der Verzicht auf die feierlichen Zeichen der Herrscherurkunde geht so weit, dass schließlich auch die Elongata für das Eschatokoll nicht mehr verwendet wird. Das Siegel und […] die Bulle gewinnen auf diese Weise eine beherrschende Stellung für die Korroboration, während gleichzeitig die Bedeutung der Unterschrift abnimmt“ (S. 76).

Im dritten zentralen Kapitel verfolgt Worm zunächst die Entwicklung im ostfränkischen Reich von den Söhnen Ludwigs des Deutschen bis zu Heinrich I., mit dem die Transformation des karolingischen in das ottonische Urkundenbild beginnt (S. 130f.). Das Rekognitionszeichen verliert seinen ursprünglichen Sinn als rechtssichernde Unterschrift, jeder Hinweis auf die ursprüngliche Wortbedeutung subscripsi verschwindet, aber der bisherige Nebensinn als apotropäisches Zeichen und die traditionell zur Königsurkunde gehörende Form sorgen für die Weiterverwendung. Im Westfrankenreich mit seinem breit gefächerten Formenrepertoire wird zwar die Kanzlerzeile weiterhin eingetragen, doch kommt ihr keine Bedeutung für die Rechtssicherheit und Beglaubigung mehr zu (S. 135). Die Zeichen fallen in der Regel schlicht und schmucklos aus, und das Wissen darum, dass es sich ursprünglich um Unterfertigungszeichen gehandelt hat, schwindet.

Einen Exkurs (S. 143-152) widmet Worm der Entstehung und Verwendung der tironischen Noten, ihrem Gebrauch in den Rekognitionszeichen der karolingischen Herrscherurkunden und den Neuerungen durch die Kanzlei Ludwigs des Deutschen. Worm zufolge sind die Zeichen des Kanzler Hebarhard jedenfalls keine „willkürlich erfundenen, notenähnlichen Zeichen ohne Sinn“, wie Kehr meinte, sondern „sinntragende Elemente des Unterschriftszeichens“ (S. 152), über deren Bedeutung jedoch auch Worm nur Vermutungen anstellen kann.

Zusammenfassend (S. 153-159) hält Worm fest, dass das Rekognitionszeichen mehr als nur ein Rechtssymbol war, das seit der Mitte des 9. Jahrhunderts unverstanden weiter benutzt wurde. Es ist vielmehr als von Beginn an wichtiges Gestaltungsmittel der karolingischen Urkundenschreiber zu sehen, das in all seinen Bestandteilen Bedeutungsträger und Träger politischer Botschaften besonders für den illiteraten Urkundenempfänger war. Das Grundverständnis, dass es sich bei dem Zeichen um eine gekürzte Fassung des Wortes subscripsi handelt, hielt sich länger als bisher angenommen.

Bedauerlich ist, dass zu den Urkunden Italiens zwar die Editionen von Wanner bzw. Schiaparelli herangezogen wurden, nicht aber die Regesten-Bände von Zielinski 7, die zweifellos mit Gewinn hätten benutzt werden können. Manche Urteile erscheinen recht unvermittelt und nicht ausreichend begründet, so etwa, dass unter Rado zur Zeit Karls des Großen „das Rekognitionszeichen die rein rechtliche Sphäre der Urkundenverifizierung“ verlässt und „zum rätselhaften und bedeutungsschwangeren Zeichen [wird], das die Benutzer zur Interpretation auffordert“ (S. 37).

Diese Einwände wiegen jedoch nicht schwer angesichts der Leistung, die Worm bietet. Der Wert der überaus zahlreichen Einzelanalysen und der beigefügten großformatigen Abbildungen wird sich vollends erst in der Arbeit mit der Studie erweisen; zahlreiche Ergebnisse, die „nebenbei“ erzielt wurden, zeigen aber jetzt schon die Fruchtbarkeit des Wormschen Ansatzes. Hervorgehoben sei hier nur die Neubewertung einer ganzen Reihe von Urkunden (Verzeichnis S. 171) oder die Tatsache, dass es durch die vergleichende Beschreibung der Rekognitionszeichen gelingt, einen bisher nicht bekannten Notar Karls des Kahlen zu identifizieren: Joseph, der zunächst Notar Pippins I. von Aquitanien ist, dann 843 für Karl tätig wird, 847-848 als Notar Pippins II. belegt ist und sich schließlich wieder im Umkreis Karls als Erzieher seines Sohnes Ludwigs II., des Stammlers, findet (S. 96ff.). – Mit Peter Worms Studie liegt eine umfassende Behandlung des Rekognitionszeichens vor, auf die man sich in Zukunft stützen wird.

Anmerkungen:
1 Rück, Peter, Die Urkunde als Kunstwerk, in: v. Euw, A.; Schreiner, Peter (Hgg.), Kaiserin Theophanu, Bd. 2, Köln 1991, S. 311-333; Ders., Urkunden als Plakate des Mittelalters, Medien der Herrschaftsrepräsentation, in: Forschung. Mitteilungen der DFG 4 (1990) S. 26f.
2 Rück, Peter (Hg.), Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik, Sigmaringen 1996.
3 Dahlhaus, Jochim, Aufkommen und Bedeutung der Rota in den Urkunden des Papstes Leo IX., in: Archivum Historiae Pontificiae 27 (1989), S. 7-84; Ders., Aufkommen und Bedeutung der Rota in der Papsturkunde, in: Rück (Hg.), Graphische Symbole (wie Anm. 2), S. 407-423.
4 Eisenlohr, Erika, Von ligierten zu symbolischen Invokations- und Rekognitionszeichen, in: Rück (Hg.), Graphische Symbole (wie Anm. 2), S. 167-262.
5 Rück, Peter, Bildberichte vom König. Kanzlerzeichen, königliche Monogramme und das Signet der salischen Dynastie, Marburg 1996; Schulze, Hans K., Monasterium in monte constructum. Quedlinburger Urkundenstudien, in: Sachsen und Anhalt 22 (1999/2000), S. 57-79.
6 Mersiowsky, Mark, Graphische Symbole in den Urkunden Ludwigs des Frommen, in: Rück (Hg.), Graphische Symbole (wie Anm. 2), S. 335-383.
7 Böhmer, J. F., Die Karolinger im Regnum Italiae 840-887 (888), bearb. von Herbert Zielinski, Köln 1991; Das Regnum Italiae in der Zeit der Thronkämpfe und Reichsteilungen 888 (850)-926, bearb. von Herbert Zielinski, Köln 1998.

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